Richard Liebermann (1900 - 1966)


Richard wurde am 21. Oktober 1900 in Neu-Ulm in Bayern geboren. Der von Geburt an Gehörlose war ein zurückhaltender, hilfsbereiter und sympathischer Mensch.

Eltern:

Sein Vater, Heinrich Liebermann (1866 - 1942) war kein erfolgreicher Kaufmann. Er handelte mit Hopfen. Seine Mutter Hedwig Wieler (1875 - 1942) war die Hausfrau. Sie waren Juden und heirateten 1897.

Geschwister:

Richard hatte drei Geschwister Paul (1899 - 1958), Gertrud (1902 - 1995) und Hans (1903 - 1942).

Bezugsperson und "Dolmetscherin" für Richard: Gertrud Liebermann

Die Schwester Gertrud, die zwei Jahre jünger als er war, musste ihre Familie und vor allem ihre kranke Mutter versorgen. Deshalb hatte sie keinen Beruf erlernt. Auch sie begleitete Richard bis zum Tod im Jahr 1966, wie sie es schon bei ihrer 1942 verstorbene Mutter und den jüngeren Bruder Hans getan hatte. Richard hatte Kommunikationsprobleme, weil er taubstumm war. Seine Schwester "dolmetschte" für ihn.

Wohnort:

Die Familie Liebermann wohnte bis 1935 in der Friedrichstraße 19 (heute "Hermann-Köhl-Straße") Im Jahre 1935 zogen sie unter Druck der Nazis von Neu-Ulm nach Konstanz, wo die Mutter geboren war.

Das Leben:

Die Schweizer Verwandtschaft mütterlicherseits unterstützte die Familie Liebermann von 1932 bis 1939 mit mehrfachen Darlehen. Sie lebte in der Nähe der Schweiz. Die Familie wurde dort zur Sicherheit vor den Nazis untergebracht.

Schulzeit von Richard Liebermann:

Er besuchte die Volksschule in Königlichen Zentral-Taubstummen-Institut in München von 1907 bis 1916. Nach seiner Schulentlassung nahm er an den Fortbildungsklasse teil, die in derselben Schule war.

Kunststudium:

Richard erlernte Kunst bei Professor und Kunstmaler Walter Thor in München. 1921 ging er an die Akademie der Bildenden Künste in München. Hier studierte er bis 1930 das Kunstfach "Malerei". Unter anderem studierte er bei dem bekannten Professor Franz von Stuck.

Richard als junger Student

Vom jüdischen Glauben zum katholischen Glauben:

Aus welchem Grund er 1923 zum katholischen Glaube wechselte, ist noch nicht bekannt. Pater Edelbert Kurz, der Seelsorger an dem Königlichen Zentral-Taubstummen-Institut in München war, taufte Richard von jüdisch zu katholisch in der St. Anna-Kirche in München um. Sein Schulfreund Rudolf Kreuzer half ihm, den Attacken der Nazis zu entkommen. Seine Geschwister Gertrud und Paul wurden 1943 in Frankreich auf den katholischen Glauben umgetauft.

Bildauftrag von verschiedenen Leuten:

1925 beauftragte Dr. Friedrich Wanner, der damals als HNO-Arzt im Königlichen Zentral-Taubstummen-Institut München tätig war, Richard, ein Gemälde von ihm anzufertigen. Dem Doktor war das Maltalent Liebermanns bereits bekannt.

1923 fertigte Richard ein Gemälde für Anton Hofbauer, den Direktor des Königlichen Zentral-Taubstummen-Institut München.

Die Familie Anguli erhält das bekannte Gemälde "Die Messe auf dem Münsterplatz (Ulm)" von Richard. Sie verließ wegen der Verfolgung durch die Nazis Deutschland und wanderte nach Amerika aus und nahm das Bild mit. Heute ist es im Edwin-Scharff-Museum zu sehen.

Der Ulmer Zeitungsverleger Eberhard Ebner kaufte das Bild "Der Zeitungsleser" bei Richard. Auf dem Bild "Der nationale Aufbruch", welches im "Ulmer Tagesblatt" erschien, sind - kaum lesbar - die Worte "Heil Deutschland" zu sehen. Das dürfte als Kritik des Künstlers an der drohenden bzw. von anderen herbeigewünschten Veränderung der Welt verstanden werden. Das Bild entstand im Jahr 1933

. Richard oder Paul als Darsteller

Richard fertigte Gemälde von den berühmten Leuten: z. B. Albert Einstein oder auch Max Liebermann (nicht verwandt mit Richard!)

. Albert Einstein

Inzwischen porträtierte er Menschen im ganzen Land und zeichnete Landschaftsgemälde. Durch die zunehmende Auftragslage wurde ihm bewusst, dass er eine künstlerische Zukunftsperspektive hat.


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Das jüdische Landschulheim in Herrlingen bei Ulm zwischen 1936 bis 1939:

Während Richard am Bodenseeufer zeichnete, lernte er den Direktor Hugo Rosenthal vom jüdischen Landschulheims Herrlingen kennen. Der Direktor war fasziniert von Richard und stellte ihn als Kunsterzieher ein und war dort während des Dritten Reiches tätig. Er unterrichtete hörende Schülerinnen in der Schule. Die Schülerinnen mochten ihn persönlich sehr, den Zeichenunterricht von anderen Lehrern dagegen nicht.
Richard las von den Lippen der Schülerinnen sehr gut ab. Wenn es in Ausnahmen große Kommunikationsprobleme gab, wurde schriftlich erklärt oder gefragt.

Machtergreifung Hitlers im Deutschen Reich 1933:

Bis zum Jahr 1933 durfte er viele seiner Bilder in öffentlichen Ausstellungen zeigen. Dann wurde ihm das durch die Nazis verboten. Damit war seine Künstlerkarriere beendet. Heimlich zeichnete er jedoch für verschiedene Privatleute noch Portraits und Gemälde.

Erste Verhaftung durch die Gestapo:

Zwei Tage nach der Reichskristallnacht 1938, also blitzschnell, wurden Richard Liebermann und sein Bruder Hans von der Gestapo verhaftet und als "Schutzhaftjuden" ins KZ Dachau gebracht. Ungefähr nach einem Monat wurde sie jedoch entlassen. Ihr Ausweis wurde erstmals mit dem Buchstaben "J" ausgestellt.

Richard nach der Entlassung in KZ Dachau

Missgelungene Auswanderung nach Amerika und verlorene Gemälde in Holland:

Aufgrund des zunehmenden Judenhasses in Deutschland beantragte Familie Liebermann die Auswanderung über Holland und England nach Amerika. Diese Reise misslang jedoch. Inzwischen waren viele Gemälde Richards in Rotterdam/Holland gelagert, wurden von den Nazis beschlagnahmt und ohne Entschädigung restlos verkauft.

Deportierung ins Lager Gurs in Frankreich:

Nach wiederholter Verhaftung durch die Gestapo wurde Richard 1940 mit seinem Vater, seinem Bruder Paul und seiner Schwester Gertrud in das französische Lager Gurs am Fuße der Pyrenäen gebracht. Seine Mutter und sein Bruder Hans wurden nicht dorthin deportiert, weil sie krank waren und zwei Jahre später in einem Krankenhaus durch die Giftspritze ( sog. "Euthanasie-Programm") umgebracht wurden.

6500 der Juden, die nach Gurs gekommen waren, konnten fliehen und auswandern. Aber der Großteil der Inhaftierten überlebte diese Katastrophen nicht. Schweizer Verwandte (mütterlicherseits) halfen der Familie mit Geld, damit die Familie in das französisches Spitallager Noé gebracht werden konnten. Der Vater von Richard verstarb im Lager Noé.

Kunstleben im Lager Gurs und Noé:

Die Zeichnungen und Malereien von dort zeigten die vielen Leiden des Lageralltages wie Hungersnöte, eiskalte Winter ohne Ofen in Baracken ...

Trotz mangelnder Malmaterialmangel malte er viele Portraits von Häftlingen in Gurs und Noé. Unter einem Decknamen schickten Verwandte oft Pakete mit Malutensilien an Richard. Der Hunger und das tägliche Elend konnten ihn keine fröhlichen, schönen und lebendigen Bilder malen lassen. Seine seelische Verfassung verschlechterte sich.

"Befreiung" vom Lager Noé:

Angeblich kauften Schweizer Verwandte Richard, Paul und Gertrud vom Lager Noé 1943 frei. Als Unterstützung bekamen die drei Geschwister bis 1946 von ihnen Pakete und Geld über eine Deckadresse an Richard Liebermann.

Neue Heimat und Stiländerung in St. Just-St. Rambert in Frankreich:

Richard, Gertrud und Paul zogen anfangs unerkannt nach St. Just-St. Rambert um. Für die drei waren St. Just und St. Rambert nach dem Kriegsende eine neue Heimat. Dieser Ort liegt 50 km von Lyon entfernt. Sie lebten in einem von Nonnen geführten Heim. Aufgrund des schlimmen Lageraufenthaltes war Paul an den Rollstuhl gefesselt.

Er starb im Jahre 1958 an diesen Spätfolgen. Richard zeichnete jedoch nicht mehr in Grau- und Brauntönen, sondern es entstanden farbintensive Gemälde, die vor Fröhlichkeit leuchteten. Er verwandte trotz seiner späteren Parkinsonschen Krankheit auch neue Techniken: Collagen, die er aus Schokoladen- und Silberpapier erstellte, welches ihm der befreundete Zuckerbäcker schenkte. Er hatte während seines 23jährigen Aufenthalts keine öffentliche Ausstellung in Frankreich.

Kommunikation zwischen Leuten in St. Just-St. Rambert und Richard:

Es gab leider Kommunikationsprobleme zwischen Richard und den französischen Bewohnern, weil Richard taubstumm war und die französische Sprache nicht beherrschte. Jedoch verwendete er eine andere Kommunikationsform: er schrieb auf Briefpapier, wenn er etwas mitteilen wollte, und seine Schwester übersetzte das Geschriebene dann ins Französische. Es gab oft "Briefwechsel" zwischen Richard und anderen (per Schwester).

Lebensende von Richard Liebermann:

Am 10. Dezember 1966 starb er in St. Just-St. Rambert und wurde dort begraben.

Nach dem Tode Richards:

Seine Schwester Gertrud kehrte 1979 nach Deutschland zurück und lebte im Alten- und Pflegeheim in Konstanz, wo sie im Jahr 1995 verstarb.

von Franziska (Gitta) Fehringer und Markus Beetz
(Monacensia Gebärdende Historie)